Die (reichweiten-) stärkste zweite Liga aller Zeiten?
Die beste zweite Liga der Welt – so bewarb der frühere Sport-Spartensender DSF seine Highlight-Shows und montäglichen Live-Übertragungen für die Partien der 2. Bundesliga. Der Claim verfing, der DSF-Nachfolger Sport1 verwendet den Slogan noch heute.
Und beim Blick auf das diesjährige Aufgebot des Bundesliga-Unterhauses mag die Aussage sogar stimmen: Hamburg, Schalke, Kaiserslautern, St. Pauli, Magdeburg, Karlsruhe, Hannover, Braunschweig, Düsseldorf, Hansa Rostock, Nürnberg. Die zweite Bundesliga ist inzwischen ein Sammelbecken der Traditionsvereine und Zuschauer-Magnete. Und das bringt Probleme für den Verband der Profivereine, die DFL, mit sich.
Die zweite Bundesliga: ein Zuschauer-Powerhouse
Denn selbst wenn die 2. Bundesliga sportlich nicht an der Spitze der Unterhäuser dieser Welt steht – sie ist mit Abstand die Reichweitenstärkste. Bereits in der vergangenen Saison wies die Liga laut der Sport-Plattform „Die falsche Neun” einen Besucherschnitt von 22.270 Zuschauern pro Spiel auf. Europäische Spitze! Die Vereine der englischen EFL Championship lockten durchschnittlich 4.000 Zuschauer weniger pro Spiel in die Stadien; die spanische Segunda División kommt als immerhin drittbestbesuchte zweite Liga Europas nur auf knapp 10.000 durchschnittliche Zuschauer.
Rechnet man nun mit der Besetzung der neuen Saison – sprich inklusive der Besucherzahlen des FC Schalke 04 und Hertha BSC sowie die der drei Drittliga-Aufsteiger und zieht die Zuschauerschnitte der 2. Liga-Auf- und -Absteiger ab – dann ist die 2. Bundesliga mit durchschnittlich 26.326 Fans in den Stadien sogar auf Platz fünf in Europa. Vor der französischen Ligue 1.
Aber natürlich sind Zuschauerzahlen in Stadien heutzutage nicht (mehr) der entscheidende Faktor. Das wahre Geld wird mit den TV-Quoten gemacht. Und seit jeher dominieren die englischen Vereine die TV-Messungen. Das gilt jedoch nur für die Premier League. Denn die 2. Bundesliga beherrscht die europäischen zweiten Ligen auch in Sachen Fernseh-Reichweite: Während, laut dem Branchenportal Sportcal, im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Menschen pro Spieltag die Paarungen der Championship schauten, lockte die 2. Bundesliga 1,8 Millionen Menschen vor die Fernseher. Zugegeben: Die 1,8 Millionen sind die Quoten der Saison 2021/22 (die Quoten des letzten Jahres waren leider noch nicht einsehbar); doch die damalige Besetzung (mit Schalke und Werder Bremen) ist durchaus mit der diesjährigen (mit Schalke und der Hertha) vergleichbar.
Die Geister der Vergangenheit…: Die DFL hat an der Bundesliga-Besetzung zu knabbern
Die zweite Liga lockt schlicht und einfach Zuschauer vor den Fernseher. Insbesondere, wenn sich Fan-Magneten die Klinke in die Hand reichen. Die Rechteinhaber (und damit hauptsächlich der Pay-TV-Sender Sky) reiben sich angesichts der potenziellen Quoten-Hits bereits die Hände.
Eigentlich ein Grund zu Feiern für die DFL – oder? Tatsächlich eher nein. Ironischerweise ist die starke zweite Fußball-Bundesliga ein Problem für den Verband: Sie kannibalisiert das vermeintliche Flaggschiff und Premium-Produkt Bundesliga. Und das ausgerechnet in der heißen Verhandlungsphase für die TV-Rechte ab der Saison 2025/2026.
Kannibalisieren bedeutet in diesem Fall: Die 2. Bundesliga zapft das Fan-Interesse (und damit Zuschauer) aus der ersten Liga ab. Denn zwei starke Ligen locken keine neuen Zuschauer zum Produkt. Stattdessen konkurrieren sie vielmehr um die gleiche Zuschauerschaft. Wobei dieser Konkurrenzkampf nur eingeschränkt stattfindet. Schließlich verfolgen die meisten Zuschauer zunächst erst einmal ihren Verein – egal ob in Liga eins oder zwei. Und wenn dann noch Zeit bleibt, werden eventuell noch andere Partien geguckt. Je größer also das Fan-Potenzial der zweiten Liga desto geringer der Zuschauerzuspruch der Bundesliga.
Das sieht man beispielsweise am zu erwartenden Stadion-Besucher-Schnitt für die neue Saison. In der vergangenen Spielzeit lockten die Bundesliga-Paarungen durchschnittlich 43.000 Fans in die Arenen (Die falsche Neun). Nimmt man Schalke und die Hertha (und ihre Zuschauer-Schnitte) aus der Verlosung und rechnet die durchschnittlichen Besucherzahlen der beiden Aufsteiger Darmstadt und Heidenheim aus dem letzten Jahr herein, sinkt der Stadion-Besucherschnitt um 5.000 (auf etwas über 38.000 Anwesende). Auch die so eminent wichtigen TV-Quoten könnten einen gewaltigen Dämpfer erfahren und um rund neun Prozent sinken – oder eventuell gar mehr.
Der Hamburger SV stellte bereits in der vergangenen Saison einen Zuschauerrekord für die zweite Bundesliga auf.
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Denn inzwischen machen für Zuschauer uninteressante Vereine einen großen Teil der Bundesliga aus. Damit sind nicht nur RB Leipzig, Wolfsburg, Hoffenheim oder Leverkusen gemeint; das betrifft auch Vereine wie Augsburg, Mainz oder eben die beiden neuen Darmstadt und Heidenheim. Keiner dieser Vereine konnte letztes Jahr einen sechsstelligen Zuschauerschnitt verbuchen; im Fernsehen wohlgemerkt. Leipzig lockte beispielsweise etwa 80.000 Fans vor den TV. Das ist geringer als der Besucherschnitt im Dortmunder Signal-Iduna-Park.
Ende der 2000er und Anfang der 2010er konnte die Bundesliga aufgrund des großen Pools beliebter Vereine noch ein paar der kleinen Vereine auffangen. Damals standen das gelegentliche Mainz oder Unterhaching sogar noch für eine charmante Underdog-Story. Je mehr sogenannter Traditionsvereine allerdings den Weg in die zweite Liga antraten, desto weniger konnte die 1. Liga diesen Aderlass abfedern. Die Spielplangestalter der DFL und ihrer TV-Partner versuchen daher bereits seit einiger Zeit, die vermeintlich quotenschwachen Vereine in der Samstags-Konferenz „zu verstecken”, während Paarungen mit den großen Vereinen in die Einzelspiel-Slots gelegt wurden. Doch es scheint, als wäre inzwischen die kritische Masse an kleinen Vereinen in der Bundesliga erreicht.
Die Saison 2021/2022 zeigte übrigens, dass dies kein Alarmismus ist. Mehrere TV-Partner monierten damals die in Abwesenheit von Schalke und Bremen schwache Quoten der Bundesliga. Bereits damals warten sie vor einer zunehmenden „Verzwergung”.
TV-Verhandlungen ohne Ass im Ärmel
Der Fan-Exodus in die zweite Liga kommt für die DFL zur absoluten Unzeit: Sie steht finanziell unter enormen Druck! Der internationale Wettbewerb mit der Premier League, LaLiga und der Serie A läuft auf Hochtouren. Die Kostenspirale im Profi-Sport zieht immer weiter an. In der Auslandsvermarktung ist man weit abgehängt. Und letztens scheiterte auch noch der vom Verband avisierte Investoreneinstieg.
Die Clubs der 1. Liga ziehen der DFL daher aufgrund von Anschlussängsten und Wachstumssorgen die Daumenschrauben an. Das neue TV-Rechtepaket ist der Einnahmen-Hoffnungsträger. Ein weiteres TV-Einnahmen-Fiasko – nachdem die Fernsehgelder im letzten Rechtezeitraum coronabedingt erstmals seit Ewigkeiten wieder sanken – darf es nicht nochmal geben. Es sollen, nein müssen, mehr als die bisherigen 4,4 Milliarden Euro sein.
Eigentlich! Denn es scheint, als habe die DFL den Regler „TV-Einnahmen” allmählich bis an den Anschlag gedreht. DAZN und Sky schultern derzeit circa 80 Prozent der Ausgaben für die Live-Fußball-Rechte in Deutschland. Doch DAZN schreibt seit Jahren rote Zahlen und auch Sky arbeitete lange Zeit hochdefizitär. Angesichts der momentanen Wirtschaftslage wollen beide ihre Ausgaben drücken. Steigende Mehrausgaben für Live-Fußball-Rechte passen da nicht ins Konzept.
Der Gewinn-Druck nimmt zu: Trotz teils immenser Preissprünge ist DAZN noch nicht profitabel.
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Das ist kein ausschließlich deutsches Problem: Auch die Serie A bekam bereits die neuen Sparzwänge der Sender zu spüren. Die italienische Eliteliga verhandelt ebenfalls ein neues TV-Rechtepaket – und auch sie könnte deutlich weniger einnehmen als zuvor. Zumindest liegen die Angebote der Fernseh-Partner bislang weit unter den Vorstellungen der Liga-Vertreter.
Daher ist die DFL nun zunehmend offener, neue Wege zu gehen. Immer öfter gibt es Gerüchte über den Einstieg von Apple und anderen Anbietern anstelle der bisherigen langjährigen Partner. Doch auch potenzielle neue Partner haben kein Geld zu verschenken – und der Bundesliga gehen die überzeugenden Argumente für höhere TV-Gelder aus. Die Bundesliga ist seit langem eine Klassengesellschaft, Bayern holt Meisterschaft um Meisterschaft und jetzt drohen auch noch die Quoten zusammenzubrechen, da Zugpferd um Zugpferd die Liga verlässt und diese durch reichweitenschwache Vereine substituiert werden
Wie geht es jetzt weiter?
Kurzum: Die DFL ist in Aufruhr. Es wird immer wahrscheinlicher, dass die nationalen TV-Erlöse in der jetzigen Situation maximal geringfügig gesteigert werden können. Die größte Chance auf Wachstum sieht der Verband deswegen in der Auslandsvermarktung. Nicht umsonst wäre der Aufbau einer (internationalen) Streaming-Plattform sowie Investitionen in neue Märkte rund um den Globus einer der größten Ausgabenbereiche gewesen – wenn der Investoreneinstieg geklappt hätte.
Denn die Bundesliga setzt im Ausland gerade einmal 150 Millionen Euro um. Zum Vergleich: Die spanische Liga kassiert 700 Millionen Euro. Die Premier League nochmal deutlich mehr. Die Frage ist nur: Hätte, beziehungsweise besteht hier überhaupt noch Potenzial oder ist der Zug bereits abgefahren? Die deutschen Profifußballclubs wollen die Hoffnung zumindest noch nicht aufgeben. Ihre Hoffnung ist auch: Ein internationaler TV-Partner wie Apple könnte in der Auslandsvermarktung durch ihr riesiges Netzwerk und den global genutzten Streaming-Service helfen.
Unterdessen versuchen sich einige Clubs an der TV-Revolution, um wieder mehr Big Player dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren. Eine Gruppe rund um den FC Schalke 04 will eine Neu-Verteilung der Fernsehgelder durchzusetzen. Denn derzeit werden die Gelder maßgeblich nach sportlichem Erfolg verteilt. Mit der Folge, dass sportlich zwar erfolgreiche aber reichweitenschwache Vereine wie Leipzig über Gebühr von den TV-Geldern profitieren, die andere Vereine mit ihrer Zugkraft generieren. Noch ist unklar, ob dieser Vorstoß erfolgreich sein wird.