Solidarisch unsolidarisch

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„Es sollte in der nächsten Zeit niemand mehr mit Solidaritätsthemen kommen.” Hans-Joachim Watzke konnte seine Wut auf der inzwischen denkwürdigen DFL-Pressekonferenz am 24. Mai nicht verstecken. Vielleicht wollte er es auch gar nicht erst: Nach vorne gebeugt, trotziger Blick, bebende Mundwinkel. Gerade hatten er, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Fußball Liga, sowie Oliver Leki und Axel Hellmann, die Interims-Geschäftsführer des Verbandes, eine herbe Niederlage einstecken müssen. Diesmal keine sportliche – sondern eine an der Wahlurne.

Monatelang verhandelten die DFL-Vertreter federführend einen Investoren-Einstieg. Neues Geld für die Liga! Genauer gesagt: zwei Milliarden Euro. In die Auslandsvermarktung hätte das Geld fließen sollen. Und in die Digitalisierung; so plante die Liga den Aufbau einer eigenen digitalen Streaming-Plattform. Obendrein hätten die Vereine selbst sogar noch etwas vom Kuchen für die Sanierung und den Ausbau der eigenen Infrastruktur sowie zur freien Verfügung erhalten.

Der Plan: Audiovisuelle Medienrechte hätte der Verband künftig über eine neu gegründete Tochtergesellschaft, die DFL MediaCo GmbH & Co KGaA, vermarktet. Und an eben jenem Unternehmen hätte sich ein Investor für 20 Jahre mit 12,5 Prozent einkaufen können. Ein Aufbruch in neue Gefilde!

Doch dann, am Tag der Abstimmung, der Schock: Als die DFL seine Mitgliedsvereine fragte, ob sie die Verhandlungen mit den potenziellen Geldgebern vertiefen könne, kam entgegen aller Erwartungen nicht die notwendige zwei Drittel Mehrheit zustande. Nur 20 Vereine stimmten für die Ausweitung der Investoren-Gespräche. Der Rest enthielt sich – oder lehnte gar ab. Viele der ‘aufständischen’ Vereinsvertreter äußerten danach, dass sie nicht den Investoren-Einstieg an sich ablehnten. Vielmehr gab es zu viele offene Fragen, welche die DFL-Vertreter nicht zufriedenstellend beantworten konnten.

„Das ist Demokratie, das muss man aushalten”, kommentierte Watzke im Nachgang. Nur: So richtig aushalten tat er es nicht. Nur kurze Zeit später bliesen Top-Vereinsvertreter rund um den Dortmunder Vorstandsvorsitzenden und Bayerns Karl-Heinz Rummenigge zum Gegenangriff – und stellten die Zentralvermarktung zur Disposition. Eine Drohung an die kleinen Vereine als Konsequenz auf die Ohrfeige beim Investoren-Einstieg.

Mit geeinter Stimme: das Prinzip Zentralvermarktung

Jene Zentralvermarktung ist praktisch der einende Solidaritätsmechanismus der ersten und zweiten Bundesliga. Medienrechte – ob für das Fernsehen, IP-TV oder Radio – werden zentral von der DFL vermarktet; die Erlöse dann anhand eines spezifischen Verteilungsschlüssels unter den 36 Erst- und Zweitligisten aufgeteilt. Durch die geeinte Front erhoffen sich Ligen und Vereine eine bessere Verhandlungsposition. Zudem sollte die Zentralvermarktung verhindern, dass die Schere zwischen Arm und Reich allzu schnell auseinander driftet und mehr TV-Geld für die kleinen Vereine abfällt. Schließlich könnten die Sender ohne Zentralvermarktung einfach einzelne Deals mit den großen Vereinen wie dem FC Bayern München abschließen. Prime Time für die Big Boys, die Kleinen schauen sprichwörtliche in die Röhre.

Ähnliches konnte man über viele Jahre in Spanien beobachten: Die Einzelvermarktung war dort bis zur Saison 2016/2017 gang und gäbe. Real Madrid oder Barcelona schlossen lukrative Verträge mit den großen TV-Stationen ab – und rissen sich einen Großteil der TV-Einnahmen unter den Nagel: 40 Prozent der Gesamteinnahmen aller Erstligisten flossen an die beiden Liga-Primen. Erst mit der Einführung der Zentralvermarktung rückten die Clubs in der Fernsehgeld-Tabelle näher aneinander – wenngleich Real Madrid auch im neuen Modell noch knapp 110 Millionen Euro mehr aus den audiovisuellen Erlösen erhält als etwa der SD Eibar.


Wie der Verteilungsschlüssel der TV-Gelder im deutschen Profifußball funktioniert, wieso sich die Bundesligisten um die Verteilung der Einnahmen streiten und wieviel jeder einzelne Verein pro Zuschauer kassiert, könnt ihr hier lesen.


Jeder ist sich selbst der Nächste? Die Drohkulisse ‘Einzelvermarktung’

In der Bundesliga ist plötzlich genau diese Form der Einzelvermarktung als ernsthafte Alternative zum bestehenden Prinzip auf dem Tisch. Teils stößt sie, trotz des Negativbeispiels Spanien, sogar auf offene Ohren bei Teilen der Fans. Schließlich leidet auch das Vermarktungssystem der DFL an einer, in den Augen vieler Vereinsanhänger, groben Ungerechtigkeit: 42,5 Prozent der Gelder werden anhand der Leistungen der jeweiligen Vereine ausgeschüttet und nur zwei Prozent auf Basis der tatsächlichen Reichweite der Clubs. In der Folge erhalten RB Leipzig, Wolfsburg oder Hoffenheim enorme Summen von der Liga, obwohl sie kaum bis keine Quote machen. Die Hoffnung der Fans: Vermarkten sich die Clubs künftig selbst, spielt die Strahlkraft eine deutlich wichtigere Rolle. Mehr Geld für zuschauerstarke Traditionsvereine, weniger für die Retortenteams.

Doch dieser Effekt lässt sich zumindest bezweifeln. Das spanische Beispiel zeigt: Zunächst profitiert die Spitze. In Deutschland wären das Bayern München und mit Abstrichen der BVB. Sie wären die ersten Ansprechpartner der Sender. Erst wenn ihre Verträge unter Dach und Fach sind, wird das verbleibende Budget unter den anderen Vereinen aufgeteilt. 

Vielleicht sinkt auf diese Weise die Lücke zwischen dem VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen tatsächlich. Doch der letztendlich überwiesene Betrag könnte trotzdem geringer ausfallen als bisher. 

Mehr noch: Wahrscheinlich würden auch die international vertretenen Vereine über Gebühr von der Einzelvermarktung profitieren. Schließlich können sie mehr Spiele gegen die Top-Gegner Europas auf der ganz großen Bühne verkaufen. Und dann wären wir doch wieder bei Leipzig und Bayer. Ein Ausweg aus dem derzeitigen Vermarktungs-Teufelskreis wäre dies also nicht.

Zudem könnte die Einzelvermarktung auch für viele Fans zum Problem werden. Handelt jeder Verein seine eigenen Rechte-Deals aus, bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass Spielübertragungen auf verschiedenste Sender aufgesplittet würden. Der FC Bayern und Borussia Dortmund bei Sky. Stuttgart, Schalke und Bochum bei DAZN. Hertha, Köln und Hamburg bei Magenta Sport. Frankfurt und Union Berlin bei Amazon Prime. Der Traum vom günstigeren TV-Abo nur für den eigenen Verein – er würde für viele zum Bumerang.

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Das Ende der DFL?

Dieses Prinzip kennen englische Fans bereits zur Genüge: Drei Pay-TV-Sender, Sky Sports, BT Sport und Amazon Prime, teilen sich die Spiele der Premier League jeweils untereinander auf. Wollen die Fans möglichst viele Fußballspiele im Fernsehen verfolgen, müssen sie somit gleich mehrere kostspielige Abos abschließen. 

Doch gerade das Vermarktungsmodell der Premier League, welches hinter dem Abschluss dieser Deals steht, ist eine weitere viel-diskutierte Variante im deutschen Fußball-Oberhaus. Denn die englische Flagship-Liga und die Championship (die zweite Liga) vermarkten sich jeweils selbst und schließen eigene Mediendeals ab.

Immer öfter liest man, dass die Bundesligisten aus der DFL – in welcher alle Erst- und Zweitligisten organisiert sind – austreten könnten. Anschließend würden sie dann ihre eigene Interessenvertretung unter dem Dach des Deutschen Fußball Bundes gründen und fortan losgelöst von der zweiten Liga ihre Belange verhandeln. Die vielen kritischen Stimmen aus der zweiten Liga am vorgeschlagenen Investoren-Modell? Mit einem eigenen Verband der Erstligisten wären diese augenblicklich verstummt.

Fraglich ist jedoch, ob dieses Idee überhaupt rechtzeitig umgesetzt werden könnte – selbst wenn die Bundesligisten dies wollten. Denn die bestehenden Deals mit den TV-Stationen für die Übertragung der ersten und zweiten Bundesliga laufen nach der kommenden Saison (2024/2025) aus. Dementsprechend müssen die Sende-Lizenzen ab dem kommenden Jahr neu ausgeschrieben werden, um nicht in zwei Jahren ohne TV-Deal dazustehen. Ein komplizierter DFL-Austritt, eine Verbandsneugründung, die Organisation und der Abschluss von TV-Verhandlungen erscheint innerhalb dieses kurzen Zeitraums mehr als unrealistisch.


Der Druck auf die DFL wächst: Sie muss im nächsten TV-Rechte-Zeitraum wieder mehr Geld von den Sendern erlösen. Doch die stark-besetzte zweite Liga und Zuschauerschwund im Liga-Oberhaus stellen sie vor Probleme. Mehr dazu könnt ihr hier lesen.


Die Investoren-Pläne gehen in die zweite Runde

Dementsprechend passt es ins Bild, dass die Gerüchte um eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit potenziellen Investoren erneut an Fahrt aufnehmen. Das Manager Magazin berichtet, dass die DFL-Verbandsspitze sich bereits wieder mit den Private-Equity-Firmen CVC, EQT und Blackstone an einen Tisch gesetzt habe. Auch Hans-Joachim Watzke deutete in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an: „Ich persönlich kann mir vorstellen, dass das Projekt noch einmal überarbeitet und neugestaltet werden muss.”

Dieser neu gedachte Investoren-Einstieg fällt laut neuer Medienberichte allerdings deutlich kleiner als bisher geplant aus. Statt der ursprünglich geplanten zwei Milliarden Euro sollen nun „nur” 500 bis 700 Millionen Euro erlöst werden. Diese sollen dann ausschließlich in die Digitalisierung des Verbands, wie beispielsweise der angedachten Streaming-Plattform, fließen. Gelder an die Vereine würden hingegen keine ausgeschüttet.

Klar scheint: Eine zweite Niederlage wollen die Wortführer in der DFL nicht hinnehmen. Pünktlich zum Start der Gerüchte zeichnete der ehemalige Interims-Geschäftsführer des Verbandes und Aufsichtsratsvorsitzender von Eintracht Frankfurt, Axel Hellmann, im Kicker wieder düstere Szenarien über die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga, den großen Investitionsbedarf und natürlich über das Ende der zentral ausgeschriebenen Medienrechte – und drohte damit erneut mit dem Beginn der Einzelvermarktung.

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